Die Bauindustrie befindet sich europaweit in der Krise. Wie schlimm es ist und welche Maßnahmen Abhilfe schaffen können, zeigt eine Studie der Boston Consulting Group.
Explodierte Zinsen und gestiegene Materialkosten haben die Bau-Branche von einem schwindelerregenden Hoch in eine tiefe Krise gestürzt. Nicht nur Deutschland geht durch eine der schwierigsten Phasen der jüngeren Geschichte, auch in anderen europäischen Ländern ist Lage ernst. Wie tief der europäische Bausektor in der Krise steckt, zeigt eine Studie der Boston Consulting Group (BCG), die der WirtschaftsWoche exklusiv vorliegt.
Insgesamt gingen die Baugenehmigungen im letzten Jahr in der EU gegenüber dem Vorjahr um 20 Prozent zurück. Der größte Rückgang wurde in Schweden verzeichnet: Hier sanken die Baugenehmigungen für Wohnungen und Häuser im Vergleich zum Vorjahr um 52 Prozent. In Deutschland konnte ein Rückgang um 28 Prozent, in Frankreich um 24 Prozent verzeichnet werden.
Mehr als 20 Prozent aller Wohnbauunternehmen in Deutschland erleben Projektstornierungen, mehr als 10 Prozent befinden sich in finanziellen Schwierigkeiten, zeigt die Studie. „Wir sehen in der Bauindustrie in allen europäischen Märkten sehr schlechte Zahlen, so schlecht wie seit 15 Jahren nicht mehr“, kommentiert Studienautor Christoph Hilberath.
Der größte Rückgang ist beim Wohnungsneubau zu erkennen. „Europaweit fehlt extrem viel Wohnraum, seit 1990 haben wir nicht so schlechte Daten gesehen“, berichtet Hilberath. Dieser Bereich sei der, den vor allem Privatpersonen zu spüren bekämen. Doch auch Unternehmen klagen über fehlende Aufträge. Das Problem liege aber nicht an der Nachfrage nach Wohnraum, sondern an der Umwandlung dieser Nachfrage in echte Projekte. „Es ist aktuell wirtschaftlich nicht attraktiv, Wohnraum zu schaffen“.
Hinzu kommt, dass es für Privathaushalte schwieriger wird, einen Kredit für den Kauf Wohneigentum zu bekommen. In Deutschland sank die Zahl der Kredite im ersten Halbjahr 2023 im Vergleich zum Vorjahr um 49 Prozent.
Dabei ist die Bauindustrie essenziell für die europäische Wirtschaft: Investitionen in den Bau tragen zu mehr als 10 Prozent des BIPs der EU bei. Entlassungen im Bausektor und weiter steigende Mietkosten führen auch zu reduzierten Konsumausgaben, heißt es in der Studie. Außerdem könne der Wohnungsmangel industrielles Wachstum behindern, da Unternehmen wie Northvolt Schwierigkeiten Hätten, genügend Arbeitskräfte anzuziehen, um ihre Batteriezellenfabrik in Schweden zu betreiben.
Als Gründe für die Krise nennt die BCG die Zinserhöhungen der EZB, welche die Kreditverfügbarkeit bedeutend eingeschränkt haben. Außerdem liegen die Baukosten EU-weit um etwa 27 Prozent höher als noch im Jahr 2019. Dazu kommen verschärfte regulatorische Anforderungen und lange Genehmigungszeiten. In Deutschland dauern Wohnprojekte wegen neuer Anforderungen nun etwa 30 Prozent länger als 2015. „Wir sehen aktuell eine erhöhte Zahl von Insolvenzen und Standortschließungen“, erläutert Hilberath, „sollten die Aufträge also wieder anziehen, fehlen die Menschen, um die Neubaupläne überhaupt umzusetzen“.
Die BCG legt mögliche Lösungen für die Krise dar. „Es gibt eine Reihe von Maßnahmen, die kein Geld kosten und politisch schnell umsetzbar sind – allerdings auch nur einen begrenzten unmittelbaren Effekt haben“, schreibt Co-Autor Lucian Morariu. Dazu gehören vereinfachte Anforderungen und schnellere Genehmigungsverfahren in der Baubranche. Zu einer Maßnahme mit mittlerem finanziellem Aufwand beziehungsweise Risiko für den Staat zählt Morariu den Zugang zu Krediten. Durch staatliche Garantien für Banken könnte dieser erleichtert werden. Abhilfe schaffen könnten außerdem die Senkung der Mehrwertsteuer für Baumaterialien und Transaktionskosten in Deutschland. „Letztere können je nach Bundesland bis zu 10 Prozent betragen“, kommentiert Morariu.
Zu der dritten Kategorie, den Maßnahmen, die zwar mit hohen Kosten aber einer schnellen Umsetzung verbunden sind, zählt die Stärkung von Unternehmen in der Baubranche, beispielsweise durch die Möglichkeit einer längeren Kurzarbeit. „Fachkräfte müssen gehalten und ausgebildet werden, um sicherzustellen, dass genug Produktionskapazitäten vorhanden sind, wenn der Markt wieder anspringt“.
(vgl. https://www.wiwo.de/finanzen/immobilien/baukrise-es-ist-aktuell-wirtschaftlich-nicht-attraktiv-wohnraum-zu-schaffen/29712614.html?xing_share=news, Stand: 19.03.2024)